St. Franziskus Frankfurt - 03.02.2023

Freiheit, Sexualität, Bibel - unlösbare Widersprüche?
Bibeltag in St. Franziskus Frankfurt - 14.01.2023

Biblische Texte zu instrumentalisieren ist eine Strategie, die insbesondere dann zu beobachten ist, wenn es innerhalb der katholischen Kirche um Themen der Sexualität geht. Manche Kreise glauben, die Bibel auf ihrer Seite zu haben, wenn es um die moralische Verteufelung von Homosexualität oder von geschlechtlicher Transidentität gehe.

Exegetische Forschungen der letzten Jahre zeichnen jedoch ein anderes als das bisher vorherrschende Bild über das Verhältnis der Bibel zu Fragen rund um die Themen von Sexualität und Geschlechtsidentität. Und sie ermöglichen es, mit weit verbreiteten Vorurteilen aufzuräumen, wie der sehr anregende Bibeltag mit Dr. Thomas Hieke, Professor für Altes Testament an der Universität Mainz, und knapp 20 Teilnehmenden aus der Gemeinde St. Franziskus zeigte.

Am Vormittag ging es zunächst um die Schöpfungsberichte im Buch Genesis und das damit verbundene biblische Menschenbild. Thomas Hieke legte z.B. dar, dass in Genesis 1 vor allem das literarische Stilmittel des Merismus Verwendung findet, mit dem eine Gesamtheit durch ihre beiden äußeren Pole bezeichnet werden. Wenn im ersten Schöpfungsbericht die Rede davon ist, dass Gott „Himmel und Erde“, „Meer und Land“ und „Licht und Finsternis“ gemacht habe, dann heißt das natürlich nicht, dass alles, was zwischen Tag und Nacht wie die Morgenröte, oder was zwischen Meer und Land wie z.B. das Wattenmeer liege, nicht von Gott erschaffen worden sei. Seine Schöpfung umfasst vielmehr die ganze Welt. In Bezug auf die von Gott geschaffene Ordnung der Geschlechter bedeute dies, dass die Schöpfung nicht in den Attributen „männlich und weiblich“ aufgehe, sondern dass alle Facetten des Geschlechtlichen in Gottes Schöpfung enthalten sind. Gottes Schöpfung kennt viel mehr als das, was in Gen 1 im Einzelnen benannt wird, so Professor Hieke. Wenn es dann in Gen 1,31 heißt „und siehe, es war sehr gut“ bedeute dies, dass alles Teil des göttlichen Schöpfungswirkens ist, folglich auch das, was nicht im Einzelnen ausdrücklich benannt wird, aber dennoch vorhanden ist. Nochmal in den Worten von Professor Hieke: Wie die Hautfarben liegen auch die verschiedenen sexuellen Orientierungen nicht in der Entscheidungsfreiheit des Menschen. Sie sind ein Teil von Gottes guter Schöpfung.

Ausgehend von weiteren alttestamentlichen Textstellen wurde dann am Nachmittag das im biblischen Menschenbild verankerte Verständnis der von Gott gewollten menschlichen Freiheit diskutiert und gemeinsam auf seine Bedeutung für gegenwärtige Fragen der Gestaltung menschlicher Sexualität befragt. Hier wurde deutlich, dass eine rigide Verbotsmoral, die die katholische Sexualethik dominiert und bis heute in Rom vertreten wird, wenig gemein hat mit dem biblischen Sexualitätsverständnis.

Am Schluss des Tages wurde von vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern positiv hervorgehoben, dass in den Pausen ausreichend Zeit für den gemeinsamen Austausch über die ebenso anregenden wie differenzierten Ausführungen von Professor Hieke vorhanden war. Der Bibeltag wurde von einer Arbeitsgruppe bestehend aus Steffi Elbe, Clemens Weißenberger und Matthias Proske vorbereitet und versteht sich auch als Reaktion auf die Missbrauchs- und Gewaltthematik innerhalb der Katholischen Kirche und der Bearbeitung in unserer Pfarrei.

Matthias Proske