Missbrauchsbetroffene hören

Gottesdienst vom 09./10.07.22

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Einleitung
Dieser Gottesdienstes steht im Motto unter einer doppelten Erschütterung. Zum einen sind wir erschüttert über den Missbrauch, der in der Katholischen Kirche stattgefunden hat und nochimmer stattfindet, begangen von Männern der Kirche. Zum anderen sind wir erschüttert, ja wütend über die systematische Vertuschung dieser Verbrechen durch die Träger der Amtskirche. Diese haben ihr Handeln nicht am Wohl, der Würde und dem Schutz der Betroffenen orientiert haben, sondern am Interesse der Institution, auf die kein Schatten fallen durfte und darf. Einige Berichte der Aufarbeitung dieses institutionellen Versagens der Kirche liegen vor, aus München, Köln und jüngst aus Münster. Wer diese Berichte liest – sie sind öffentlich zugänglich – kann nicht so weitermachen wie bisher.
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Erschütterung aber besteht auch ob der anderen Arten von Missbrauch: Physischer und emotionaler Missbrauch und all seine Formen: Grenzverletzende Situationen, Übergriffigkeit und eben Missbrauch. Hier gilt es hinzuschauen und dem Einhalt zu gebieten.
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Das alles ist beklagenswert. Es wird deswegen eine Zeit des Klagens und des Aushaltens der Klage geben. Beklagenswert ist das Thema Missbrauch. In der katholischen Kirche, auch in der Schule, im Sportverein und nicht zuletzt in der Familie und im nahen sozialen Umfeld findet täglicher emotionaler, körperlicher und sexueller Missbrauch statt. Die Zahlen sind bedrückend.
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Mit dem Gottesdienst soll für diese Gemeinde klare Position gezeigt werden: Kirche muss ein Ort der Gewalt- und der Machtfreiheit sein. Uns muss es um Stellungnahme gehen: Wir wollen Betroffene zu Wort kommen lassen und ihrem Leid Raum geben.
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Wenn wir heute Gottesdienste feiern denken Sie bitte daran, dass die belastende Thematik des Missbrauchs Thema ist. Was aber wiegt schwerer: Über den Missbrauch zu reden oder festzustellen, dass er Alltag ist? Es braucht einen Raum, wo Gewalt endet und das Leid der
Betroffenen aufgehoben ist. Wir wollen hinhören und somit den Betroffenen eine Stimme geben. Dazu ergeht die herzliche Einladung.

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Kyrie
Lasst uns Gott um sein Erbarmen bitten.
Gewalt darf die Welt nicht regieren. Kyrie Eleison.
Jesus hat Gewalt durch Liebe Einhalt geboten Christe Eleison.
Sein Kreuz zeigt den Weg zur Erlösung. Kyrie Eleison.

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1. Lesung DTN 30,10-14
Lesung aus dem Buch Deuteronium
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… wenn du auf die Stimme des Herrn, deines Gottes, hörst und auf seine Gebote und Gesetze achtest, die in dieser Urkunde der Weisung einzeln aufgezeichnet sind, und wenn du zum Herrn, deinem Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele zurückkehrst. Dieses Gebot, auf das ich dich heute verpflichte, geht nicht über deine Kraft und ist nicht fern von dir. Es ist nicht im Himmel, so dass du sagen müsstest: Wer steigt für uns in den Himmel hinauf, holt es herunter und verkündet es uns, damit wir es halten können?
Es ist auch nicht jenseits des Meeres, so dass du sagen müsstest: Wer fährt für uns über das Meer, holt es herüber und verkündet es uns, damit wir es halten können? Nein, das Wort ist ganz nah bei dir, es ist in deinem Mund und in deinem Herzen, du kannst es halten.

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2. Lesung Kol 1,15-20
Lesung aus dem Kolosserbrief
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Er ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der Erstgeborene der ganzen Schöpfung. Denn in ihm wurde alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, Throne und Herrschaften, Mächte und Gewalten; alles ist durch ihn und auf ihn hin geschaffen.
Er ist vor aller Schöpfung, in ihm hat alles Bestand. Er ist das Haupt des Leibes, der Leib aber ist die Kirche. Er ist der Ursprung, der Erstgeborene der Toten; so hat er in allem den Vorrang. Denn Gott wollte mit seiner ganzen Fülle in ihm wohnen, um durch ihn alles zu versöhnen. Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut.

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Evangelium LK 10,25-37
Aus dem Evangelium nach Lukas
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Da stand ein Gesetzeslehrer auf, und um Jesus auf die Probe zu stellen, fragte er ihn: Meister, was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen? Jesus sagte zu ihm: Was steht im Gesetz? Was liest du dort? Er antwortete: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit all deiner Kraft und all deinen Gedanken, und: Deinen Nächsten sollst du lieben wie dich selbst.
Jesus sagte zu ihm: Du hast richtig geantwortet. Handle danach, und du wirst leben. Der Gesetzeslehrer wollte seine Frage rechtfertigen und sagte zu Jesus: Und wer ist mein Nächster? Darauf antwortete ihm Jesus: Ein Mann ging von Jerusalem nach Jericho hinab und wurde von
Räubern überfallen. Sie plünderten ihn aus und schlugen ihn nieder; dann gingen sie weg und ließen ihn halbtot liegen.
Zufällig kam ein Priester denselben Weg herab; er sah ihn und ging weiter. Auch ein Levit kam zu der Stelle; er sah ihn und ging weiter. Dann kam ein Mann aus Samarien, der auf der Reise war. Als er ihn sah, hatte er Mitleid, ging zu ihm hin, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie. Dann hob er ihn auf sein Reittier, brachte ihn zu einer Herberge und sorgte für ihn. Am andern Morgen holte er zwei Denare hervor, gab sie dem Wirt und sagte: Sorge für ihn, und wenn du mehr für ihn brauchst, werde ich es dir bezahlen, wenn ich wiederkomme.
Was meinst du: Wer von diesen dreien hat sich als der Nächste dessen erwiesen, der von den Räubern überfallen wurde?
Der Gesetzeslehrer antwortete: Der, der barmherzig an ihm gehandelt hat. Da sagte Jesus zu ihm: Dann geh und handle genauso! Predigtskizze Die biblischen Texte sind Erfahrungen aus Jahrhunderte langer Auseinandersetzung der Menschen mit der Frage, was Gott ihnen sagen will. Die biblischen Autoren haben dabei alle Erfahrungen der Menschen in ihrem Leben gedeutet auf die Beziehung zu Gott hin. Sie sind in einer bestimmten Situation zu verstehen, haben aber dennoch auch die Möglichkeit in sich, auf etwas zu antworten, was sich in der beschriebenen Situation noch nicht abgebildet hat. Das kann sein, weil spätere Zeiten sich erinnert haben, dass etwas ähnliches schon einmal passiert ist. Oder eine neue Erfahrung auf eine bereits erlebte Begebenheit angewendet wurde. Die Erfahrung von Gewalt ist eine, die die Menschen der Bibel kennen. Gewalt, die ihnen angetan wird, aber auch Gewalt die sie antun. Wenn im alte Israel Gewalt im Spiel war dann entweder dem Volk und Einzelnen gegenüber, als Erfahrung darauf, dass sie sich gegen Gott du seine Gebote gestellt haben, und eine Konsequenz ist, dass ihnen Gewalt angetan wurde. Oder, und selbst David war davor nicht gefeit, Personen taten anderen Gewalt an und wurden dafür von Gott gestraft. So sahen es die Menschen des Alten Bundes.
Gewalt antun ist Gottes Vorrecht um erziehend einen Menschen oder das ganze Volk auf den Pfad zu sich zu führen. Sie ist als Ausdruck göttlicher Herrschaft verstanden. Wer Gottes Gebote hält, dem geht es gut, wer sie bricht, der erfährt die Konsequenz. Jesus hat diese Sicht durchbrochen. Wer zu ihm kam, der erfuhr die liebevolle Zuwendung Gottes. Alles Leid ist aufgehoben im Leid Jesu am Kreuz. Er nimmt auf sich, was wir durchleiden und wird so zum mitleidenden Gott. Gott also ist im Leid bei uns. Und das verspricht er uns, selbst in der Stunde, da wir denken, er sei so fern wie nie zuvor. Gegen jede Erfahrung bleibt diese Zusage stehen: Gott ist bei dir du er will, dass es Dir gut geht.

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Zur 1. Lesung
Dafür, dass Gott Israel zu seinem Volk gemacht hat, gibt es keine andere Erklärung als Gottes Liebe und seine Treue zum einmal gegebenen Wort. Für die Erwählten aber ergibt sich als Folgerung: Gott zu lieben aus ganzem Herzen und mit ganzer Kraft, das heißt: auf seine Stimme zu
hören und seinem Wort zu folgen. Dieses Wort ist nicht fremd oder schwierig; der Mensch kann sich danach richten und durch dieses Wort leben. Gottes Wort ist ganz nah. Damit ist noch nicht gesagt dieses auch verstehen zu können. Aber es hat die Macht Herz und Mund zum Bekenntnis in Beschlag zu nehmen. Das Gesetz wird in seiner Qualität gelobt. Es ist gleichzeitig verpflichtendes Gebot und prophetisches
Wort, dennoch offenbar und verständlich. Es ist nah wie JHWH im Gesetz nahe ist. Es ist in Mund und Herz und wirkt so von innen nach außen. Dies bedingt: Jeder Mensch kann das Gesetz halten. Missbrauch entfernt den Täter vom Gesetz Gottes. Weder trägt er das Gesetz im Herz noch handelt er danach. Wer anderen Menschen Gewalt antut dessen Herz ist verdunkelt für Gottes Gebote und ihre Beachtung.

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Antwortpsalm: Ps 69 (68), 14 u. 17.30–31.33–34.36–37

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Zur 2. Lesung:
Der Brief an die Kolosser (heute und an den drei folgenden Sonntagen) wendet sich gegen falsche Lehren, die in die Gemeinde eingedrungen sind. Die zentrale Stellung Christi in der geschaffenen Welt und im Leben der Menschen verträgt sich nicht mit der Auffassung, man müsse
außerdem auch kosmische Mächte und Gewalten verehren. Christus ist vor allem, und er lebt in allem. In ihm aber lebt die Fülle Gottes selbst. Durch ihn haben wir die Erlösung und den Frieden mit Gott.
Die Verse sind poetischer Christushymnus. Christus ist der Mittler der Schöpfung und er ist der Mittler der Erlösung. Gott ist – gegen die Vorstellung Gott und Wels sind eins – ist der jüdischchristliche Gott Schöpfer und Herr des Alls. Christus ist Ebenbild Gottes. Er war vor aller Schöpfung und ist an ihr als Mittler beteiligt. Versöhnung ist ein teurer Loskauf, der mit dem Blut Christi erkauft wurde.
Die Auferstehung Christi ist der Anfang einer neuen Schöpfung. Jesu Tod ist Grund der Versöhnung für alles was von Gott entfremdet ist.
Wer Christus folgt kann erlöst werden, wenn er sich mit Gott versöhnen lassen will. Erlösung ist das Befreien von menschlichen Fesseln, von menschlichem Leid und menschlicher Gewalt. Die Liebe Gottes will heilen.
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Zum Evangelium:
„Was muss ich tun?“, fragt der Gesetzeslehrer zuerst, und dann: „Wer ist mein Nächster?“ Auf die erste Frage weiß er selbst die Antwort; sie steht im Gesetz, in den Schriften des Alten Bundes (Dtn 6, 5 und Lev 19, 18). Auf die zweite Frage antwortet Jesus mit der Beispielerzählung vom barmherzigen Samariter. Dein Nächster ist, wer deine Hilfe braucht. Ihm bist du der Nächste. Der „Nächste“, dem ich begegne, ist nicht nur der andere; er ist der Mensch, in dem Gott mir begegnet und mich in seine Gemeinschaft ruft. Der Nächste war in Israel zunächst der Glaubensgenosse. Jesus weiter dieses Verständnis hier aus auf die Weitergabe von Liebe auf den Nächsten. Dies bedeutet sich selbst zu rechtfertigen und gerechtfertigt werden durch Gott. Der Samariter als „ungläubiger“ Anhänger des israelitischen Kultes des Nordreiches kehrt die Frage Wer ist der Nächste gewesen? Um in die Frage Wem bin ich Nächster?
Die Gleichgültigkeit der jüdischen Gottesdiener, des Leviten du des Priesters, sind offensichtlich. Sie wollen sich nicht die Hände schmutzig machen, im ihre kultische Reinheit für den Tempeldienst zu behalten. Jesus zwingt sich in die Situation des Notleidenden zu versetzen. Damit wird „Der Nächste“ neu definiert, den ich lieben soll wie mich selbst. Wie würdest du den anderen lieben, wenn er Du selbst wäre? Lautet die Umkehrung der jesuanischen Frage. Die Liebe, die Jesus aufzeigte verweist auf das kommende Reich Gottes. Dieses soll angelthaft hier
gelingen, wenn Menschen einander als Nächste annehmen. Nur dann bauen sie mit an der Neuen Schöpfung in Christus. Wer Gottes Lieb in sich trägt und danach handelt ist der, der den Nächsten in seiner Not sieht und ihm hilft.

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Fürbitten
In einer Welt voller Gewalt bitten wir:
- Sei denen nahe, die durch menschliche Gewalt leiden.
Christus höre uns.
- Gib Leidenden Menschen an die Seite, die Deine Liebe bezeugen.
Christus höre uns.
- Wirke Deinen Geist des Friedens an denen, die von Gewalt besessen sind.
Christus Höre uns.
- Steh den Familien und Freunden derer bei, die Gewalt sehen und aushalten müssen.
Christus höre uns.
- Sei bei denen, die durch die Gewalt anderer zu Tode gekommen sind und bedeckte ihr Leid mit Deiner Liebe.
Christus höre uns.
So lass uns selbst zu Menschen werden, die in deiner Liebe den Nächsten und sein Leid sehen und
ihm begegnen, jetzt und in alle Ewigkeit.
Amen.